22.11.2016

Postfaktisch – Wort des Jahres

Postfaktisch – Wort des Jahres - EVS Translations
Postfaktisch – Wort des Jahres – EVS Translations

Das Emoji ‚Gesicht mit Freudentränen‘ wurde vom Oxford English Dictionary zum Wort des Jahres 2015 gewählt, mit der Begründung, dass es die Stimmungen und Sorgen des letzten Jahres am besten ausdrückt. Und auch in diesem Jahr werden wir nicht enttäuscht.

2016 ernannte der Oxford English Dictionary ‚postfaktisch‘ zum internationalen Wort des Jahres. Tatsächlich handelt es sich um ein Adjektiv, das der OED wie folgt definiert: ‚Umstände bezeichnend oder betreffend, in denen die öffentliche Meinungsbildung weniger von objektiven Fakten als vielmehr von Appellen an die Gefühle und persönlichen Überzeugungen beeinflusst wird‘.

Den Schlüsselbegriff dieses Jahres gibt es bereits seit einigen Jahrzehnten. In den vergangenen Monaten nahm seine Verwendung jedoch fast 2.000 Prozent zu, hauptsächlich in Zusammenhang mit dem Brexit-Referendum Großbritanniens und der US-Präsidentschaftswahl.

Und es waren genau diese beiden Ereignisse, durch die zwei weitere Wörter unter die diesjährigen Finalisten in die engere Wahl gelangten. Das UK-Referendum prägte das Wort Brexiteer – jemand, der für den Brexit eintritt – und aus der Präsidentschaftswahl in den USA kennen wir alt-right –eine Abkürzung für ‚alternative rights‘, eine Gruppe von Ultrarechten, welche die Mainstream-Politik ablehnen und sich stark auf die Online-Medien stützen.

Kommen wir zurück auf unser Wort des Jahres 2016. Zunächst einmal ist es bereits ein seltenes Phänomen, dass ein Begriff gleichzeitig auf beiden Seiten des Atlantiks zum Trendwort wird. Und bedenkt man außerdem die außerordentlich starke Verknüpfung mit Politik, dann müssen wir seinen weltweiten Einfluss anerkennen, selbst wenn wir uns dann damit abfinden müssen, dass die Menschen heute nicht mehr nach der Wahrheit fragen.

Der Begriff entstand in den 90iger Jahren und hatte damals die allgemeine Bedeutung ‚nachdem die Wahrheit bekannt war‘. In seiner heutigen Bedeutung, nämlich um den eingeschränkten Einfluss von Tatsachen zum Ausdruck zu bringen, tauchte er 1992 in einem Essay des serbisch-amerikanischen Dramatikers Steve Tesich in dem Magazin The Nation auf, der die Iran-Contra-Affäre und den Golfkrieg zum Thema hatte.

Und der Begriff postfaktische Politik wurde am 1. April 2010 von dem Blogger David Roberts in einem Post für Grist geprägt, wo er ihn definiert als „eine politische Kultur, bei der öffentliche Meinung und Medienberichte nahezu völlig getrennt sind vom Wesen der Gesetzgebung“.

Die meisten Experten machen die sozialen Medien und ihre wachsende Rolle bei der Verbreitung von die Masse beeinflussenden Informationen und Meinungen verantwortlich für den Boom der postfaktischen Politik, für politische Kampagnen, die sich eher an die Emotionen der Wähler richten und objektive Fakten außer Acht lassen.

Aber die Vorwürfe schmälern nicht die Aussage eines Tweets, der diesen Monat vom The Independent gepostet wurde: „ Wir leben heute in einer postfaktischen Welt und es gibt kein Zurück“.